garderobe23 - labor für gestaltung 1998-2004

eine beschreibung der garderobe23 fällt mir - obwohl von anfang an dabei - recht schwer.
was war das: ein raum? eine künstlergruppe? ein labor? eine agentur? wohl von allem etwas.

am besten beschreiben es wohl die verschiedenen projekte, die in und um die garderobe23 entstanden sind.
dazu bitte den link unten zur webseite der garderobe23 klicken.

die garderobe23 als raum ist nun geschichte - wir sind im august '04 ausgezogen. weitergeführt wird das unternehmen als virtueller raum, und als gemeinnütziger verein, das netzwerk aus mitstreitern, freunden, kollegen und gleichgesinnten wird so bestehen bleiben.



hier ein text über die garderobe23 von steffi wurster 2001 für das japanische magazin "composite":

Einst war Kreuzberg ein totes Ende von Berlin. Die Mauer begrenzte, durch den Flußlauf der Spree bedingt, diesen Stadtteil gleich von drei Seiten. Bürgerliche Westberliner trauten sich kaum in diesen multikulturellen Dschungel, unternehmenslustige und kreative Youngster dafür um so mehr. Die Nachlässigkeit, mit der die Stadt diese als aggressiv und aufmüpfig stigmatisierte Gegend verkommen ließ, kam einem Potential zugute, daß sich in Übungsräumen, Programmkinos, riesigen Wohngemeinschaften, lauten Clubs und Künstlerateliers verwirklichte. Um den Oranienplatz herum fand jedes Jahr die Straßenschlacht des Arbeiterfeiertags 1. Mai statt, bei der Autonome und Polizisten sich in gegenseitiger Wut gegenüberstehen. Aus den umliegenden Häusern beobachtete die türkische Bevölkerung dieses bunte Treiben - die zahlreichen, überaus günstigen Dönerbuden machten Rekordumsätze. Je tiefer man über die zentrale Verkehrsader Skalitzer Straße an die Spree vordringt, desto wilder wurde die Gegend. Am Schlesischen Tor, der Endstation der U-Bahnlinie 1, endet die Skalitzer auf die Schlesische Straße. Gegenüber ist das Wasser - nach wenigen Kilometern rechts oder links stieß man auf die Mauer. Hier waren die Mieten besonders billig - wer mochte schon in Renovierungen investieren? Fabrikgebäude mit Backsteinfassaden, Monumente des Industriezeitalters, dienten als billige oder sogar kostenlose Wohn- und Arbeitsräume mit einer atemberaubenden Weitsicht auf Spree und Friedrichshain, den gegenüberliegenden Ost-Stadtteil. Drüben war es dunkel, es gab kaum Straßenbeleuchtung oder Autos. Nachts fielen manchmal Schüsse.

Nach der Wende blieb die Gegend um das Schlesische Tor lange vernachlässigt. Die Investoren ballten ihr Interesse auf Mitte mit der Museumsinsel und dem Altstadt-ähnlichen Straßengewirr. Die Ateliers und Wohngemeinschaften in Kreuzberg hatten so eine lange Schonfrist, wenn auch die Mieten stiegen. In den meist großen Räumen konnte man gleichzeitig wohnen und arbeiten, gelegentliche Partys finanzierten die Miete. Mitte der 90er Jahre brummte das Areal um die Schlesische Straße, die im Osten schon zu Treptow gehört. Hier war immer irgendwas los. Die Arena - die größte freischwebende Halle Europas - wurde vor allem für Techno-Veranstaltungen genutzt, daneben gab und gibt es den größten und besten Flohmarkt der Stadt. Ein paar Ecken weiter bot ein verfallenes Gelände direkt am Wasser dem Yaam-Club kurzzeitigen Unterschlupf, einer regelmässigen Sommer-und-Draußen-Party mit Reggae, Drum and Bass, exotischen Garküchen und viel Caipirinha. Bei der Loveparade 1997 war dies die bestbesuchte Location - und das nicht nur, weil in der großen Halle MC Grandmaster Flash dem Publikum einheizte. Kleine Boote fuhren die Eingeweihten das Spreeufer rauf und runter.

In diesem Sommer fand auch das ehemalige Straßenbahndepot am Flutgraben, direkt über dem Flohmarkt und angrenzend an das Arena-Gelände endlich einen neuen Nutzer. Die “Kunstfabrik am Flutgraben e.V.” mietete sich ein, ein gemeinnütziger Verein, der Künstlern und solchen, die es werden wollten, großzügige Ateliers bot. Die Miete war verhältnismäßg niedrig, allerdings mussten einige Unannehmlichkeiten in Kauf genommen werden: Elektrizität und Heizung waren nicht oder kaum installiert, fließend Wasser ebenso, zu den wenigen Toiletten musste man über ewiglange dunkle Gänge laufen. Für eine Freundesgruppe, die sich aus Mediendesign-Studenten und einem projektorientierten Handwerker zusammensetzte, war das allerdings genau das Richtige. Sphen, Uli, Philipp, Jörg, Martin und Ellen ergatterten das letzte Atelier in der Kunstfabrik. 220 qm, die in monatelanger Arbeit gesäubert, renoviert und bebaut wurden. Der robuste Steinboden machte besonders viel Mühe; mit schweren Schleifmaschinen, die der Handwerker Sphen durch seine Beziehungen zu Sonderkonditionen bekam, robbten die Freunde Centimeter für Centimeter durch die Halle. Es handelte sich um die ehemalige Lehrlingsgarderobe; Hunderte von militärgrünen Spinden stapelten sich mitten im Raum. So kam der Name der Gruppe zustande: Garderobe 23. Gerade eben war der Kinofilm “23” von Hans-Christian Schmidt erschienen, die wirkliche Geschichte eines deutschen Hackers, der von dieser Zahl besessen war und 1986 unter ungeklärten Umständen starb. Mit dieser Welt zwischen Obsession und Realität, mit der Computerästhetik der 80er Jahre, konnte sich die Gruppe bestens identifizieren. Der Filmregisseur war auch einer der ersten, der in ihren monatlichen Salon eingeladen wurde - die immer am 23. des Monats stattfinden.

Was wollten die Leute von der Garderobe 23 eigentlich? Es ist offensichtlich, daß sich viele Ideen erst durch die Möglichkeiten entwickelten. “Wir haben ein Konzept eingereicht, um den Raum zu kriegen, das wir nur so schnell dahingeschrieben hatten,” sagt Sphen Koebsch, “und waren ziemlich überrascht, als wir viel später merkten, daß wir intuitiv genau dieses Konzept umgesetzt haben.” Viele studierten noch und benutzen ihren Computerarbeitsplatz halb für die Uni, halb für freie Projekte, andere bastelten in der Werkstatt an alten Computern oder Mopeds herum. Philipp, Martin und Uli treten auch als DJ’s auf und haben sich wahrscheinlich um die Technics-Ecke gekümmert. Später kam eine Bar dazu, an der auch eine Preisliste hängt: Von Anfang an kamen nämlich viele Besucher vorbei, Getränkeverkauf war die logische Konsequenz. Alle zwei Wochen gibt es eine wechselnde Verkaufsausstellung in einem der leeren Spinde, die “e2”-Galerie. Die Objekte werden über das Internet versteigert, das Einstiegsgebot liegt natürlich bei 23 Mark. An diesen Ausstellungen, zu denen über eine Mailingliste eingeladen wird, beteiligen sich auch viele Künstler des Hauses.

Außer diesen festen Terminen gibt es eine Unzahl von Projekten, von den einzelnen Mitgliedern aquiriert oder angefragt. Philipp, Jörg, Götz und Volker haben gerade ein internes Online-Magazin für das Gefängnis Tegel erstellt. Das Kunstmagazin “Shift” möchte einen Beitrag für die nächste Ausgabe, die als Video erscheinen wird. In Rotterdam soll die Garderobe 23 zwei Viadukt-Bögen mit einer Ausstellung bespielen. Für einen Nebenschauplatz der Kunstmesse “Art Basel” gibt es eine ähnliche Anfrage. Außerdem soll endlich eine öffentlich zugängliche und kommerzielle Bilderbank eingerichtet werde. Fast alle in der Garderobe 23 sind nämlich begeisterte Digitalfotografen, ihr Archiv umfasst circa 150 000 Bilder. Und eigentlich könnte man auch mal Visuals in Clubs gestalten...

Was ist das jetzt, Kunst, Produktion, Job, Lifestyle? Götz Hunold, ein Mediendesigner, der erst seit letztem Dezember dabei ist, ist jedenfalls begeistert: “Der Kunstkontext ist wichtig hier, das ganze Haus, das Zusammenspiel. Es gibt einen völlig anderen Input, als was man sonst kriegt. Eigentlich geht es um Ideen, die ich auch schon mal hatte, die ich mich aber allein nicht getraut habe, zu verwirklichen. Ich bin mit einer bestimmten Vorstellung angekommen, aber das hat sich hier schnell geändert. Das finde ich super.” Garderobe 23, Kunstfabrik am Flutgraben, Berlin-Treptow, www.garderobe23.de

Stephanie Wurster